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„Immer mehr Antibiotika sind keine Lösung“

Allgemeinmediziner Knut Horst über Übertragungswege von Bakterien, die Verantwortung von Human- und Veterinärmedizin und Hygiene in der Küche

Knut Horst ist seit 2014 Hausarzt in Dallgow-Döberitz. Er ist Mitglied der „Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung“ und bei „Mein Essen zahle ich selbst“,außerdem Vertreter des Brandenburger Volksbegehrens gegen Massentierhaltung.

Herr Dr. Horst, welche Krankheiten behandelt die Humanmedizin mit Antibiotika?

Antibiotika kommen bei schweren bakteriellen Infektionen zum Einsatz, etwa bei Blasen-, Nieren-, Magen- und Darminfektionen-, Wund- und Hautinfektionen, Infektionen der Atemwege, des Gehirns und der Hirnhäute.

Wie zeigt sich, ob die zu bekämpfenden Bakterien gegen Antibiotika resistent sind?

Nehmen wir mal an, Sie kommen mit den Symptomen einer Nierenbeckenentzündung in die Praxis. Sie bekommen ein bestimmtes Antibiotikum. Der Arzt gibt Ihren Urin ins Labor zur Anzucht der darin enthaltenen Bakterien in Petrischalen. Diese Kulturen setzt man einzelnen Antibiotika aus und sieht, ob die Bakterien aufhören zu wachsen. Auf diese Weise die Resistenzlage zu testen, dauert etwa drei Tage. Wenn Sie keine Besserung erfahren, kennt man so das Alternativantibiotikum, das wirkt.

Woher kommen die resistenten Keime?

Zu häufige Anwendung ohne Not, zu kurze Anwendungsdauer. Es gibt genetische Untersuchungen, um die verschiedenen Stämme der Bakterien zu unterscheiden, etwa den bekanntesten Krankenhauskeim, den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Wenn man die in Deutschland vorkommenden MRSA-Keime mit solchen aus USA oder Indien vergleicht, so haben sie andere genetische Informationen. Weiter differenziert man zwischen durch die Tierhaltung begründeten Antibiotikaresistenzen (livestock-assoziierte MRSA, LA-MRSA) und anderen Formen.

Lässt sich nachweisen, dass bestimmte Keime aus der Tierhaltung den Weg zum Menschen finden?

Bauern haben natürlich Kontakt mit ihren Tieren, sie sind dann mit diesen Bakterien besiedelt und diese können beispielsweise Wundinfektionen verursachen. Das ist belegt. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Patientin mit Blasenentzündung, die verschriebenen Antibiotika wirken nicht – resistenter Keim. Allerdings ist sie keine Risikopatientin, jung und gesund, war vorher nicht im Krankenhaus oder hatte keine Länder bereist, in denen viel mehr resistente Keime in der Bevölkerung unterwegs sind, weil Antibiotika ohne Verschreibung zu bekommen sind. Die Patientin könnte die Keime über das Essen aufgenommen haben, etwa über Gemüse, das mit Gülle gedüngt wurde. Es wird derzeit zu den verschiedenen Wegen der Keime aus den Ställen in die Humanpopulation geforscht. In größeren Mengen gelangen Bakterien über die Gülle, die auf dem Feld ausgebracht wird, in die Umwelt, ins Oberflächenwasser. Und über die Lüftung. Die industriellenTiermastanlagen brauchen Entlüftung, weil sonst die Tiere an ihrem eigenen Ammoniakausstoß sterben. Mit der Abluft wird auch Staub in die Umgebungsluft gewirbelt, der trockenen Kot enthält. Man kann resistente Bakterien in Autos nachweisen, die hinter Tiertransportern gefahren sind. Problematisch ist der Austausch der genetischen Informationen zur Antibiotikaresistenz unter den Gülle- und Bodenbakterien, dadurch verbreiten sich Resistenzen in der Umwelt.

Gibt es regionale Unterschiede beim Auftreten von Antibiotikaresistenzen?

Ja. Studien zeigen einen Unterschied zwischen Regionen mit vielen großen Mastanlagen und solchen mit weniger vielen. Bei Aufnahme in Krankenhäuser wurden Menschen untersucht: Im Münsterland stammen rund ein Viertel der MRSA-Nachweise aus der Tierhaltung, im Süden Brandenburgs waren es nur ein Zehntel. Im Postleitzahlenbereich 16, Nordbrandenburg, stieg der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung in den vergangenen drei Jahren um 16 Tonnen, Großmastanlagen sind in Brandenburg im Kommen.

Was tut die Pharmaindustrie gegen Resistenzen?

Sie betreibt die Entwicklung neuer Antibiotika nicht gerade mit Volldampf. Es gibt andere Bereiche in der Pharmazie, die lukrativer sind. Ich finde, es ist eine staatliche Aufgabe, das zu lenken. Aber immer mehr Antibiotika sind auch keine Lösung!

Sondern?

Weniger Antibiotika verordnen. Ich möchte da nicht mit dem Finger auf Bauern und Tierärzte zeigen – wir Humanmediziner sind die Hauptverantwortlichen für die bisherigen Probleme mit Krankenhaustoten durch MRSA. Der schnelle Griff zum Rezeptblock ist doch noch sehr verbreitet. Aber die Tierhaltung muss auch ihren Beitrag leisten, immerhin werden in der Veterinärmedizin bundesweit 1.200 Tonnen Antibiotika im Jahr verabreicht, in der Humanmedizin „nur“ 300 Tonnen. Die Gesamtmenge der Antibiotika muss verringert werden, das gilt für Menschen wie für Tiere.

Könnte man nicht bestimmte Wirkstoffe für die Humanmedizin reservieren?

Unbedingt! Neuere Wirkstoffe wie Fluorchinolone oder Cephalosporine der vierten Generation sollten der Humanmedizin vorbehalten sein. Wobei das ein Dilemma für die Tierärzte bedeuten kann: Wenn sie bestimmte Arzneien nicht mehr verschreiben dürfen, müssen sie vielleicht zusehen, wie zehntausende Tiere in einem Stall eingehen. Letztlich müssen sich die Tierhaltungsbedingungen so ändern, dass Antibiotika beim Nutzvieh unnötig werden.

Wie können wir uns praktisch vor möglicherweise antibiotikaresistenten Keimen schützen?

Obst und Gemüse gründlich waschen, Fleischprodukte gut durchgaren, Vorsicht beim Auftauwasser, Fleisch nie auf Holzbrettern ablegen – und natürlich immer Hände waschen! Richtig keimfrei wird das Essen zwar nie, aber wenigstens so keimarm, dass man nicht krank wird. Ich möchte vor „Sagrotanwahn“ warnen. Die wichtigere Frage ist: Was esse ich? Der Fleischkonsum ist zu hoch. Empfohlen sind nicht mehr als 300 bis 600 Gramm pro Woche, der deutsche Durchschnittsmann isst knapp 1.100 Gramm. Das hat Folgen, nicht nur für die Resistenzentwicklung, sondern auch für Cholesterin, Blutdruck, Zucker und Übergewicht. Gleichzeitig ist der Massenkauf von Fleisch verwerflich, wenn man weiß, wie die Tiere gehalten werden. Weniger Fleisch wäre besser für Verbraucher, Bauern und Tiere.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2015-4.

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