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Die Schweinemastanlage in Tornitz bei Vetschau, Foto: Michaela Kruse/BUND Brandenburg

Antibiotika in der Tierhaltung

Häufiger und oft willkürlicher Einsatz von Antibiotika erhöht das Risiko resistenter Bakterien. Doch industrielle Tierhaltung kommt nicht ohne sie aus. Wir haben uns die Lage in Brandenburg genauer angeschaut.

Viele Artgenossen auf wenig Raum, Stress, Hitze, Hygieneprobleme – ohne Hilfsmittel funktioniert die Intensivtierhaltung („Massentierhaltung“), bei der Tiere chronisch überfordert werden, nicht. Um das System der Fleischerzeugung in industriellem Maßstab aufrechterhalten zu können, werden Antibiotika eingesetzt, und das in großem Stil.

Die Medikamente werden dabei nicht nur kranken Tieren verabreicht. Denn Antibiotika verändern den Stoffwechsel und dienen somit der besseren Futterverwertung und dem schnelleren Fleischzuwachs. Es ist zwar mittlerweile verboten sie als „Leistungs- und Wachstumsförderer“ einzusetzen, aber diese Praxis läuft routinemäßig weiter unter dem Deckmantel der „Metaphylaxe“: Wenn einzelne Tiere krank sind, werden gleich alle anderen im Stall „vorsorglich“ mitbehandelt.

Gefahr durch resistente Keime

In Deutschland werden bei der Billigfleischproduktion noch immer über 1.200 Tonnen Antibiotika eingesetzt, doppelt so viel wie in der Humanmedizin. Die Folge dieser häufigen und oft willkürlichen Antibiotikagaben: Immer mehr Bakterien werden gegen Antibiotika resistent, zum Teil gegen mehrere gleichzeitig. Befallen diese "multiresistenten" Keime Menschen oder Tiere wirken die herkömmlichen Antibiotika nicht mehr. Schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an Infektionen mit solchen Keimen. Der BUND hat 2012 und 2015 in Tests nachgewiesen, dass Hähnchen- sowie Putenfleisch aus Discountern und Supermärkten häufig mit antibiotikaresistenten Bakterien belastet ist. Aber auch Gemüse kann betroffen sein, wenn die Keime beispielsweise durch Düngung mit Gülle auf die Felder gelangt.

Zunehmender Einsatz von Reserveantibiotika

Der Einsatz von Antibiotika muss dringend reduziert werden, um die Gefahr in den Griff zu bekommen. Das hat mittlerweile auch die Bundesregierung eingesehen. Doch lange gab es nicht einmal Zahlen zum Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Seit 2014 müssen Mastbetriebe ab bestimmten Tierzahlen ihren Antibiotikaeinsatz halbjährlich melden; Legehennen-, Zucht- und Fischbetriebe sind jedoch ausgenommen. Diese „betriebliche Therapiehäufigkeit“ wird anschließend bundesweit verglichen. Wer mehr verbraucht hat als die Hälfte aller deutschen Mastbetriebe („Kennzahl 1“), muss Rücksprache mit der Tierärztin oder dem Tierarzt halten. Wer mehr verbraucht als Dreiviertel der Betriebe („Kennzahl 2“) muss einen schriftlichen Maßnahmenplan einreichen, wie der Verbrauch gesenkt werden soll. Falls der Verbrauch nicht gesenkt wird, drohen aber kaum Sanktionen.

Auf den ersten Blick ist diese Methode erfolgreich. In den ersten drei Halbjahren der Erfassung haben die Kennzahlen abgenommen. Das muss aber nicht heißen, dass sich die Situation wirklich gebessert hat. Im Gegenteil: Es gibt Hinweise, dass nun häufiger auf sogenannte „Reserveantibiotika“ zurückgegriffen wird, welche (bisher) schneller und besser wirken und so die Therapiehäufigkeit senken. Diese Wirkstoffe wurden jedoch von der WHO als „highest priority critically important“, also als extrem wichtig in der Humanmedizin, eingestuft. Sie sollten so selten wie möglich eingesetzt werden, um ein letztes Mittel gegen multiresistente Keime zu bieten.

Der BUND fordert konkrete Reduktionsziele für Antibiotika und ein grundsätzliches Verbot von Reserveantibiotika in der Tierhaltung. Die Antibiotikagabe muss lückenlos dokumentiert und eine Einzeltierbehandlung bei Krankheiten durchgesetzt werden. Die Mindeststandards für die Tierhaltung und -zucht sind darüber hinaus so zu verbessern, dass Antibiotika entbehrlich sind. Die nach dem Arzneimittelgesetz erhobenen Informationen müssen der Öffentlichkeit halbjährlich landkreisgenau zugänglich gemacht werden.  

Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung in Brandenburg

Der Einsatz von Antibiotika ist bei Brandenburgs Tiermästern weit verbreitet, die Datenlage ist jedoch lückenhaft. Die Landesregierung stellte im Juni 2016 einige Daten für Brandenburg zur Verfügung. Über den Antibiotikaeinsatz in den Landkreisen gab die Antwort der Landregierung auf eine Kleine Anfrage von 2014 eine grobe Auskunft.

Die vorliegenden Daten zeichnen bereits ein besorgniserregendes Bild: Laut der verfügbaren Daten haben 285 Mastbetriebe* in Brandenburg (35 Prozent) im zweiten Halbjahr 2015 mehr Antibiotika eingesetzt als die Hälfte aller deutschen Betriebe (über „Kennzahl 1“). 152 von diesen (19 Prozent) lagen im bundesweiten Vergleich der Therapiehäufigkeiten sogar im obersten Viertel (über „Kennzahl 2“). 431 Betriebe machten keine Angabe. Ob diese Betriebe wirklich keine Antibiotika einsetzten oder ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen sind, ist nicht zu ermitteln, da im Gesetz keine „Nullmeldungen“ (Meldung, dass keine Antibiotika im Halbjahr verabreicht wurden) vorgesehen sind.

Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Masttierarten: 38 der 107 Ferkelmäster (35,5 Prozent) verabreichten ihren Tieren im zweiten Halbjahr 2015 mehr Antibiotika als drei Viertel der Betriebe in Deutschland (d. h. sie überschritten Kennzahl 2). Diese Betriebe sind laut Gesetz dazu verpflichtet einen schriftlichen Maßnahmenplan beim zuständigen Veterinäramt einzureichen, in dem sie darlegen müssen, wie sie ihren Verbrauch senken wollen. Sanktionen, wenn dies nicht eintritt, drohen jedoch kaum. Bei den Hühnermästern in der Mark lagen insgesamt sogar mehr als zwei Drittel der Betriebe über der Kennzahl 1 (29 von 42 Betrieben), ein Drittel über Kennzahl 2 (14 Betriebe). Auch bei den Mastputen setzten ein knappes Drittel der Betriebe sehr viele Antibiotika ein und lag über Kennzahl 2 (16 von 55 Betrieben). Die brandenburgischen Kälber- und Rindermäster standen deutlich besser da (11 Prozent und 15 Prozent der Betriebe über Kennzahl 2). 

Insgesamt sind die Therapiehäufigkeiten in Brandenburg über die drei Erfassungszeiträume bei allen Tierarten gesunken, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Allerdings bewegen sie sich in Brandenburg und auch Deutschland bei einigen Tierarten nach wie vor auf sehr hohem Niveau. So lag die Kennzahl 2 im 2. Halbjahr 2015 bei Mastputen bundesweit bei 32,3 und in Brandenburg sogar bei 35,5. Das heißt, theoretisch könnte jede Pute im Betrieb an 35 Tagen im Halbjahr mit Antibiotika behandelt worden sein.

Hinter der vermeintlich positiven Entwicklung der sinkenden Therapiehäufigkeiten könnte sich zudem eine Katastrophe verbergen: So könnten Tiermäster verstärkt auf sogenannte Reserveantibiotika zurückgreifen, welche häufig schneller wirken. Da die Behandlungstage in die Berechnung der Therapiehäufigkeit eingehen, sinkt sie durch diesen Trick. Diese Wirkstoffe wurden jedoch von der WHO als „highest priority critically important“, also als extrem wichtig in der Humanmedizin, eingestuft. Sie sollten so selten wie möglich eingesetzt werden, um ein letztes Mittel gegen multiresistente Keime zu bieten, bei denen viele herkömmliche Antibiotika schon nicht mehr wirken (z.B. MRSA oder ESBL-produzierende Keime).

In Brandenburg werden jährlich rund 150 MRSA-Infektionen nachgewiesen. Einer Bundesratsinitiative zum Verbot von Reserveantibiotika schloss sich Brandenburg jedoch nicht an. Hier wollte die Landesregierung wohl den brandenburgischen Tiermästern entgegenkommen. Zu der Vergabe von Reserveantibiotika in ganz Brandenburg und deren Entwicklung in den letzten zwei Jahren stehen bisher keinerlei Informationen zur Verfügung. Die entsprechenden Daten müssen dringend öffentlich gemacht werden, um ein gegebenenfalls schnelles Gegensteuern möglich zu machen.

Beim Vergleich der Landkreise, auf Grundlage der Daten aus der Anwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage, weisen die Landkreise Elbe-Elster, Prignitz und Märkisch-Oderland besonders viele Kennzahlüberschreitungen auf. Von 54 Tiermastbetrieben in Märkisch-Oderland setzte beispielsweise fast die Hälfte überdurchschnittlich viel Antibiotika ein. Besonders bedenklich: Im Landkreis Märkisch-Oderland, von wo detaillierte Daten vorliegen, wurden 461 Liter und 54 Kilogramm Reserveantibiotika eingesetzt. Der größte Anteil davon wurde in das Trinkwasser von Geflügel gegeben, also vermutlich vorsorglich einer größeren Gruppe von Tieren. Diese Art der Anwendung erhöht die Gefahr von Resistenzbildungen.



* nur Betriebe mit durchschnittlich mehr als 20 Mastkälbern, 20 Mastrindern, 250 Mastferkeln, 250 Mastschweinen, 10000 Masthühnern oder 1000 Mastputen   

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