Wenn der Begriff „Big Five“ fällt, denken manche Menschen an die fünf wichtigsten Kategorien der jährlichen Oscar-Verleihung, andere an die mächtigen Techfirmen Amerikas oder an die großen Säugetiere der afrikanischen Savannen. Der aktuellen globalen Problemlage angemessen ist aber ein anderes Quintett: die fünf großen Massenaussterben der Erdgeschichte. Der erste sogenannte Faunenschnitt ereignete sich vor etwa 440 Millionen Jahren, der fünfte vor gut 60 Millionen Jahren. Bei allen einzelnen fünf Ereignissen starben jeweils 25 bis 50 Prozent der damals lebenden Arten aus. Während den Big Five der Massenaussterben natürliche Ursachen zugrunde lagen, verursachen beim aktuellen sechsten Massenaussterben, das längst begonnen hat, menschliche Aktivitäten den Exodus zahlreicher Arten auf dem Land und im Wasser: Wilderei, Überfischung, Vernichtung von Lebensräumen, Freisetzung von giftigen Stoffen wie Pestiziden und nicht zuletzt die menschengemachte globale Erhitzung.
Wie ernst die Lage ist, zeigt die Situation der Avifauna. Vögel dienen nach Ansicht der Weltnaturschutzunion (IUCN) als Barometer für das Artensterben, weil sie unter reger Beobachtung stehen und weil die Verluste in ihren Populationen Verluste bei anderen Klassen spiegeln, vor allem bei den Insekten. Nach IUCN-Angaben ist jede achte Vogelart vom Aussterben bedroht und fast jede zweite muss starke Bestandsverluste verkraften, nur bei sechs Prozent der Vogelarten wachsen die Bestände. In absoluten Zahlen: Seit 1980 gingen die Vogelpopulationen allein in der EU um 600 Millionen Individuen zurück.
Nur noch acht Jahre für die Trendwende
Keinen Moment zu früh kam daher das Weltnaturabkommen (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework), auf das sich 196 Staaten im Dezember 2022 bei der Weltnaturkonferenz in Montreal einigten. Um gleich die wichtigsten Kritikpunkte daran zu äußern: Wie viel Verbindlichkeit die Übereinkunft entfalten wird, muss sich noch zeigen, und um das Artensterben wirklich zu stoppen, gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Aber es ist mehr und richtungsweisender als alles, was die Staatengemeinschaft jemals vereinbart hat. Um bis 2050 das Aussterben von Arten zu stoppen, sollen bis 2030 jeweils 30 Prozent der Gewässer und der Landfläche unter Schutz gestellt werden. Ebenfalls bis 2030 erklären die Unterzeichnerstaaten, 500 Milliarden US-Dollar umweltschädliche Subventionen zu unterlassen sowie den Stickstoffüberschuss beim Düngen und das Risiko durch Pestizide zu halbieren.
Dass interessierte Kreise nicht zögern würden, das Weltnaturabkommen zum Nachteil der Artenvielfalt auszulegen, demonstrierte die Brandenburger SPD unmittelbar nach der Einigung in Kanada. Das Weltnaturabkommen sei in ihrem Bundesland schon Realität, behauptete sie mit Verweis auf 34 Prozent unterschiedlich stark geschützte Landesfläche. Und kippte kurz vor Weihnachten den Gesetzesentwurf, der ein Verbot für Pestizide und mineralische Düngemittel in Naturschutz- und FFH-Gebieten vorsah. Damit haben Brandenburgs Amphibien, Insekten und Feldvögel weiterhin schlechte Überlebenschancen.
Schutzgebiete müssen schützen
Auch in Berlin entfalten Schutzgebiete nicht immer die schützende Wirkung, die sie eigentlich haben sollten. In einigen als FFH-Gebieten geschützten Mooren der Berliner Wälder fördern die Wasserbetriebe seit Jahren mehr Wasser, als die Moore langfristig vertragen. Die einzige Möglichkeit, die Moore als Hotspots der Artenvielfalt dauerhaft zu schützen, ist aber, dort weniger Wasser zu fördern. Um das durchzusetzen, hat der BUND zusammen mit anderen Naturschutzverbänden die Senatsumweltverwaltung als verantwortliche Behörde verklagt. Das Urteil könnte 2023 fallen.
Allerdings gibt es auch gute Nachrichten aus der Berliner Verwaltung. In der bereits erwähnten Umweltbehörde kümmern sich nach langem Drängen der Naturschutzorganisationen nun drei Beschäftigte um die Ausweisung von Schutzgebieten, bislang war es nur eine. Von den knapp 40 Gebieten, die langfristig einen höheren Schutzstatus bekommen sollen, werden einige für die Biodiversität sehr bedeutende Areale wohl in näherer Zukunft als Natur- oder Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen werden, darunter die Lichterfelder Weidelandschaft, die unbebaut bleibenden Reste vom ehemaligen Flughafen Tegel, der Flughafensee und die Moorlinse in Buch.
Mehr statt weniger Stadtgrün
Angesichts des Drucks, den das Baugeschehen auf das Berliner Stadtgrün ausübt, drängt der BUND darauf, eine viel größere Kulisse als nur die potenziellen Schutzgebiete vor Zerstörung und Versieglung zu bewahren. Zwar hatte der damalige rot-rot-grüne Senat 2021 das vom BUND initiierte und als Charta für das Berliner Stadtgrün bekannt gewordene Freiflächensicherungsprogramm beschlossen. Im Abgeordnetenhaus wollte die SPD die Charta jedoch nur mit der Einschränkung beschließen, dass dem Schutz der Kleingärten, Friedhöfe, Landwirtschafts- und Brachflächen keine Bauwünsche entgegenstehen. Diese weichgespülte, den Sinn geradezu ins Gegenteil verkehrende Formulierung bringt der grünen Infrastruktur jedoch nichts.
Die nächste Berliner Regierungskoalition muss diese Blockade unbedingt auflösen. Das bedeutet nicht nur, die Charta für das Berliner Stadtgrün und eine am Klima- und Artenschutz orientierte Bauordnung zu beschließen, sondern grundsätzlich dem nur der Immobilienindustrie nutzenden Mantra „bauen, bauen, bauen“ abzuschwören – den Menschen und den bedrohten wie auch unbedrohten Tieren in der Stadt zuliebe.
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2023-1. Mehr zum Schwerpunktthema Artensterben:
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