„Wir brauchen Strategien für mehr Effizienz“

08. November 2023 | BUNDzeit

Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin, über den Umgang mit gebrauchten Baustoffen, steigende Baupreise und ein Abrissmoratorium

Theresa Keilhacker ist freischaffende Architektin und seit Mai 2021 Präsidentin der Architektenkammer Berlin. 2014 wurde sie in die Kommission für nachhaltiges Bauen (KNBau) am Umweltbundesamt berufen. Ein Ziel der KNBau ist es, die wissenschaftliche Diskussion zum nachhaltigen Bauen in die Praxis zu bringen. Seit 1998 Bürogemeinschaft mit Boris Kazanski in Berlin. Im März 2022 in den Klimaschutzrat Berlin berufen, seit Oktober 2022 im Expert*innen-Rat des Climate Change Center Berlin Brandenburg (CCC). Foto: Bettina Keller

BUNDzeit: Der Senat hat eine Novellierung der Berliner Bauordnung beschlossen. Was halten Sie davon?

Theresa Keilhacker: Die alte rot-grüne-rote Regierung hatte sich ja schon auf eine geeinigt, die kurz vor dem Senatsbeschluss seitens der SPD dann blockiert wurde. Da ahnten wir schon, dass alles, was zum Thema Abrissgenehmigung oder Biodiversität drinstand, wieder rausfällt. Die Bauordnung ist ein ganz wesentliches Instrument, um die Belange von Wohnungsbau und Klimaschutz zusammenzubringen.

Bausenator Gaebler behauptet, Artenschutz sei in der Bauordnung überflüssig, weil das schon anderweitig geregelt sei.

Wenn man diese Anforderungen zu spät einbindet, löst man sie nicht, zumal sie anderen Interessen teilweise stark widersprechen und oft nicht ausreichend Fläche da ist. Deshalb werben wir dafür, dass Bauherr*innen ordnungspolitisch gezwungen werden, sich in einem sehr frühen Stadium mit der Thematik zu beschäftigen. Wir Planende können all diese Abwägungen in einer frühen Entwurfsphase zusammenbringen. Es wäre sinnvoll, mit dem Bauantrag auch einen qualifizierten Freiflächenplan (QFP) miteinzureichen und damit Natur- und Klimaschutzbelange mitabzubilden. Beispiel: Regenwassermanagement soll mit der Gestaltung von Außenanlagen, Spielflächen und Feuerwehrzufahrten zusammengeplant werden. Beim Artenschutz muss es vor allem um Vielfalt und Nistschutz im begrünten Außenraum gehen. Bäume und alles, was direkt aus der Erde wächst, haben Priorität vor Fassadenbegrünung aus Ranktöpfen. Solche Aspekte können gleich zu Anfang integriert werden.

Die novellierte Bauordnung sagt nichts zum Abriss. Hätte sie das tun können?

Unser Vorschlag für die Novellierung sah vor, die Beseitigung von Gebäuden genehmigungspflichtig zu machen und ein Nachhaltigkeitskonzept zu fordern, das entsprechend gewertet wird. Bei beabsichtigtem Abriss und Neubau wäre eine Lebenszyklusanalyse vorzulegen, sodass klar ist, welche graue Energie im Vorgängergebäude steckt und beim Abriss vernichtet wird. Bei Abriss und Neubau wird in der Regel viel mehr verbraucht. Aktuell haben wir bei Büroflächen in Berlin wieder sehr viel Leerstand und damit Möglichkeiten zur Umwidmung in Wohnraum. Mit solchen Stellschrauben könnte eine Bauordnung zu mehr Umbaukultur führen. Wir brauchen Bestandsertüchtigung vor Neubau, weil der nicht nur für CO2-Emissionen verantwortlich ist, sondern auch Ressourcen verschlingt, die wir so leicht nicht mehr bekommen. Alle stöhnen unter den steigenden Baupreisen. Bauen wird teuer bleiben, deshalb brauchen wir Strategien, wie wir mit Ressourcen effizienter umgehen.

Warum lassen Bauherr*innen überhaupt abreißen? Fehlt es an Wissen über graue Energie? Ist Umbauen wirklich komplizierter und teurer? Oder geht es nur um maximale Verwertung?

Alle genannten Gründe spielen dabei eine Rolle, manchmal auch eine Kombination davon. Spekulation ist leider ein häufiger Grund, schließlich kann man beim Neubau oft eine größere Geschossflächenzahl erreichen. Vor allem der Nachkriegsbau belegt nicht die maximale Fläche, weil die damaligen städtebaulichen Konzepte Licht, Luft und Sonne in die Grundstücke gebracht haben. Die Wohnungen sind zwar bescheiden in den Grundrissen und nicht so schmuck anzusehen, haben aber meistens tolle Aufenthaltsqualität nach hinten, mit Bäumen, Biodiversität und Lärmschutz, von Spielplatz bis Teppichstange ist alles da. Diese Grundstücke sind sehr interessant, wenn man Rendite optimal ausreizen will. Nachhaltiger wäre aber, wenn man Nachkriegsbauten um ein bis zwei Geschosse in Holzbauweise aufstockt und den Grünraum erhält.

Die Berliner Architektenkammer fordert ein Abrissmoratorium. Wie könnte das rechtlich gestaltet sein?

Mit dem Moratorium wollten wir ein Innehalten und Nachdenken befördern, denn Abriss verbieten können wir nicht, das greift zu sehr ins Eigentum ein, haben uns alle Jurist*innen versichert. Daher fordern wir eine Darlegungspflicht: Was passiert, wenn man abreißt und neu baut, und was passiert, wenn man den Bestand ertüchtigt. Dadurch wird die Sache ehrlicher und transparenter. Damit kann man Abriss nicht verhindern, aber erschweren.

Das Gegenargument lautet, Abriss schaffe Platz für deutlich mehr Wohnraum.

Der Bestand soll ja nicht so bleiben, wie er ist. Wir müssen energieeffizienter werden und dazu oft Fassade und Haustechnik anpacken. Und vielleicht teilt man durch Umbau- oder Anbaumaßnahmen Wohnungen anders auf und erschließt sie neu, damit sie wachsen oder schrumpfen können. Wir haben heute häufig zu viel Wohnfläche pro Kopf. Zum einen sind wir eine Wohlstandsgesellschaft. Zum anderen bleiben ältere Menschen in zu großen Wohnungen, weil sie sich nicht sinnvoll verkleinern können. Unsere Herausforderung als Architekt*innen ist: Wie können wir aus einer Wohnung zwei machen, ohne jemanden zu verdrängen?

Finden alle Ihre Kolleg*innen Umbau interessanter als Neubau?

Das hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Umbau ist auch baukulturell interessant, weil er ganz neue Modelle hervorbringt. Nehmen Sie das zirkuläre Bauen: Wenn Gebäude zur urbanen Mine werden, in der wir Bauteile finden und neu einsetzen, entsteht eine neue Ästhetik. Diese Fragen beschäftigen unseren Berufsstand sehr. Wir müssen helfen, den CO2-Ausstoß zu senken, der Bausektor spielt einfach eine zu große Rolle.

Man sieht oft Abrissbirnen, die alles zerstören: Ziegel, Fensterscheiben, Rahmen, Türen … Wie weit sind wir bei der Baustoffwiederverwendung?

Noch ziemlich am Anfang. Das liegt hauptsächlich an ungeklärten Haftungs- und Gewährleistungsfragen. Man müsste auch die Lagerung optimieren: Wo bleiben die Teile, nachdem sie ausgebaut wurden? In dieser Zeit dürfen sie nicht unter das Abfallrecht fallen, sie müssen Wertstoffe bleiben. Damit die Lagerkosten nicht so hoch werden, braucht es einen Markt, der die Bauteile schnell weiterverwendet. Ein Markt für gebrauchte Baumaterialien bräuchte erst einmal Förderung, um sich zu etablieren. In Skandinavien und der Schweiz fördert die öffentliche Hand solche Märkte durch die Beschaffung. Erfreulicherweise geht der Trend in der EU grundsätzlich dahin, dass Erzeuger ihre Produkte zurücknehmen müssen. Aber das gilt bisher nur für den Neubau, nicht für den Bestand.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 23-4. Mehr zum Schwerpunktthema Secondhand:

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