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„Bei 42 °C ist Schluss“

26. Oktober 2018 | BUNDzeit, Klimawandel, Kohle, Kohle

Die Mediziner*innen Katja Goebbels und Reinhard Koppenleitner über Grenzen der körperlichen Belastbarkeit, gesundheitliche Folgen der globalen Erwärmung und staatliche Pläne zum Schutz vor Hitze

Dr. med. Katja Goebbels, MSc in International Health, geboren 1982, arbeitet derzeit als Ärztin in Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin in einer Praxis in Lichterfelde. Sie hat in einem Schweizer Krankenhaus und in Indien, Nicaragua und Kosovo gearbeitet. Sie ist aktives Mitglied der Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs/ Ärzte in Sozialer Verantwortung (IPPNW). Hauptthemen des Gründungsmitglieds der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit sind globale Gesundheit, medizinische Friedensarbeit und der Klimawandel im gesundheitlichen Kontext. Dr. med. Reinhard Koppenleitner, MPH in International Health, geboren 1946, arbeitete drei Jahre als „Entwicklungshelfer“ in einem Krankenhaus in Haiti, hatte dann in München eine Praxis als Kinderarzt und war die letzten 20 Jahre Manager und Berater für Gesundheitsprojekte in Afrika und Asien. Nun koordiniert er in Berlin die Regionalgruppe der Deutschen Allianz Klimawandel & Gesundheit und ist bei den Grünen in Reinickendorf aktiv. Beide sind in der Allianz Klimawandel und Gesundheit aktiv, deren Mitglied auch der BUND ist. www.klimawandel-gesundheit.de Mehr zu den Aktivitäten des BUND zum Thema Klima und Gesundheit unter https://www.bund-berlin.de/themen/klima-ressourcen/energie-klimaschutz/gesundheitswesen/

BUNDzeit: Herr Dr. Koppenleitner, wann fängt Hitze an?

Reinhard Koppenleitner: Ab einer Höchsttemperatur von 30 °C sprechen wir von heißen Tagen und bei mehr als zwei Tagen von einer Hitzewelle. Dann kann es zu Hitzekrämpfen, Hitzeohnmacht und Hitzeschlag kommen. Aus Studien wissen wir, dass an heißen Tagen mit jedem zusätzlichen °C zwischen ein und sechs Prozent mehr Menschen sterben. Es ist anerkannt, dass im Sommer 2003 europaweit etwa 70.000 Menschen aufgrund der Hitze vorzeitig gestorben sind.

BUNDzeit: Frau Dr. Goebbels, gibt es eine „gefühlte Hitze“?

Katja Goebbels: Eine gemessene Außentemperatur kann unterschiedlich empfunden werden, je nachdem wie hoch Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit sind und wie gesund jemand ist. Um den Körper durch Schwitzen zu kühlen, muss ein Wasser-Dampfdruck-Gradient zwischen Körperoberfläche und Umgebung bestehen. Je feuchter die Umgebung, desto kleiner der Gradient und desto weniger Hitze kann man über das Schwitzen abgeben.

R. K.: Ab 32 °C wird es bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit gefährlich. Und bei 42 °C braucht es dazu noch nicht einmal die volle Luftfeuchtigkeit. Länger als ein paar Stunden kann man unter diesen Bedingungen draußen nicht überleben.

BUNDzeit: Welche Personengruppen sind besonders anfällig für Hitze?

R. K.: Es sind immer die von anderen Abhängigen: Alte, Kleinkinder, Säuglinge. Risikofaktoren sind soziale Isolation, wenn niemand helfen kann, aber auch Armut, die sich beispielsweise in schlechten Wohnbedingungen äußert. Wer ein Einfamilienhaus mit Garten hat, wohnt in einer grünen Zone, wo es ein paar Grad kühler ist als im Hochhaus im Ballungsgebiet.

BUNDzeit: Welche Rolle spielen Vorerkrankungen?

R. K.: Menschen mit hohem Blutdruck, Lungenschädigungen wie Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Zuckerkrankheit und chronischer Nierenschwäche sind besonders gefährdet. Viele dieser Patient*innen nehmen Medikamente, die dem Körper ohnehin schon Wasser entziehen, so dass sie weniger schwitzen können. Patienten mit psychischen Erkrankungen oder Suchtkranke gehören ebenfalls zu den Risikogruppen. In Berlin gab es diesen Sommer erstmals den Hitzebus, der Wasser, Obst und Sonnencreme an Obdachlose verteilte. Das war sehr wichtig, weil diese Gruppe zu den gefährdetsten gehört.

BUNDzeit: Gibt es den von Vorerkrankungen unabhängigen Hitzetod?

K. G.: Ja, auch gesunde Menschen ohne Vorerkrankung kann ein Hitzeschlag treffen.

R. K.: Ab 42 °C ist einfach Schluss.

K. G.: Ich gehe aber davon aus, dass die Angehörigen der genannten verletzlichen Gruppen überproportional betroffen sind und dass es junge Gesunde eher selten trifft. Am ehesten noch die, die draußen arbeiten müssen.

BUNDzeit: Sind die Arbeitsschutzbedingungen in Deutschland ausreichend, was Hitze angeht?

K. G.: Auch hier dürften die Schwächsten besonders betroffen sein. Zum Beispiel Illegalisierte auf dem Bau, die nicht auf ihre Rechte wie regelmäßige Pausen pochen können. Wie wichtig das ist, zeigen Beobachtungen aus Nicaragua: Von den Plantagenarbeiter*innen, die bei hohen Temperaturen Zuckerrohr und Kaffeebohnen ernten, sterben viele in ihren Dreißigern oder Vierzigern an Nierenversagen. Dort, wo man ihnen genug Pausen, Schatten und Wasser zugesteht, stabilisiert sich die Nierenfunktion.

BUNDzeit: Welche gesundheitlichen Risiken bringt der Klimawandel mit sich, abgesehen von der Hitze?

K. G.: Für Menschen gefährliche Schadstoffe wie bodennahes Ozon und Feinstäube entstehen durch das Verbrennen fossiler Energien und kommen nicht nur als negativer Effekt hinzu, sondern potenzieren sich bei Hitze. Vor allem, wenn es wie in diesem Sommer wenig windet und regnet. Insekten werden Krankheiten mitbringen wie zum Beispiel das West-Nil-Fieber oder Dengue.

R. K.: Wenig prominent, aber heute schon ziemlich relevant, ist die Problematik mit den Allergien. Die Pollensaison wird länger und die gängigen Pollen wirken aggressiver, wenn sie sich mit Schadstoffen in der Luft verbinden. Aber wir dürfen den planetaren Aspekt nicht vernachlässigen. In Teilen Afrikas wird Landwirtschaft weitgehend unmöglich, wenn sich die globale Temperatur um mehr als drei Grad erhöht. Gleichzeitig sind die ärmeren Länder bei den sich häufenden Wetterextremen verletzlicher. Neben den materiellen Schäden muss man auch die psychischen bedenken. Wenn Kinder Katastrophen erleben, wenn sie ihre Eltern verlieren, fliehen müssen oder wenn es nichts zu essen gibt, dann prägt sie das ihr Leben lang.

BUNDzeit: Als Aktive der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit fordern Sie Hitzeschutzpläne. Was können wir uns darunter vorstellen?

K. G.: So etwas Ähnliches wie Katastrophenschutzpläne. Österreich, Italien und Spanien haben sie schon, Deutschland aber nicht. Ein Hitzeschutzplan muss von der nationalen bis zur kommunalen Ebene durchdekliniert werden, mit jeweils einer Institution, die das Ganze koordiniert. Dann braucht es schnelle Warnsysteme mit einem festgelegten Ablauf, wer wem wann was kommuniziert. Dafür benötigen wir taggleiche Daten von hitzebedingten Erkrankungen und Todesfällen. Inhaltlich geht es unter anderem darum, Innenräume rechtzeitig und ausreichend zu kühlen. Und natürlich besonders auf die verletzlichen Gruppen zu achten. Vor allem der Gesundheits- und Sozialsektor muss sich vorbereiten und das Pflegepersonal dahingehend schulen.

R. K.: Und es gehören nicht nur reaktive, sondern auch präventive, langfristige Elemente dazu, die in den Bereich Umweltpolitik gehen, etwa in der Stadtplanung Grünund Frischluftkorridore viel stärker zu berücksichtigen.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2018-4; Titelthema: Hitze & Dürre 2018.  

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