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"Postfaktische Argumente": BUND Brandenburg widerlegt Aussagen der Landesregierung zur Energiewende

27. Januar 2017 | Energiewende, Kohle, Klimawandel

Immer wieder fallen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (beide SPD) mit polemischen Aussagen zur Braunkohle und der Energiewende auf. Der BUND Brandenburg hat für einige der...

Windräder, Foto: Michaela Kruse/BUND Brandenburg  (Michaela Kruse/BUND Brandenburg)

Immer wieder fallen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (beide SPD) mit polemischen Aussagen zur Braunkohle und der Energiewende auf. Der BUND Brandenburg hat für einige der Zitate einen Faktencheck vorgenommen.

"Ministerpräsident Woidke und Wirtschaftsminister Gerber werfen den Braunkohlegegnern gerne Unsachlichkeit und eine ideologisch getriebene Argumentation vor. Doch selbst nehmen sie es mit den Fakten nicht immer genau. Die Bedeutung der Braunkohle wird konsequent stark überhöht dargestellt. So werden aus rund 9.000 schnell mal 100.000 Arbeitsplätze oder der Anteil der Erneuerbaren wird mit irreführenden Zahlen absichtlich klein dargestellt", bemängelt Michaela Kruse vom BUND Brandenburg.

Wirtschaftsminister Gerber verlässt sich nicht einmal auf Gutachten, die im Auftrag seines eigenen Hauses entstanden sind. Bei der Anzahl der Arbeitsplätze in der Lausitz bezieht er sich zum Beispiel stattdessen auf methodisch fragwürdige Zahlen aus einem Vattenfall-Gutachten. Auch die Schlussfolgerungen aus dem Gutachten "Strukturwandel in der Lausitz" werden nicht beherzigt. So spricht Woidke häufiger von einem erneut drohenden Strukturbruch, obwohl die Autoren ganz klar machen, dass sich die heutige Situation von den 1990er Jahren stark unterscheidet.

Die Bedeutung der weltweiten Klimadiplomatie wird von den Kohlefreunden grob missachtet. So bezeichnete Ministerpräsident Woidke den Klimagipfel in Marrakesch im November 2016 als eine "Konferenz irgendwo in Afrika", obwohl sich die Staatengemeinschaft über die hohe  Bedeutung der dort verhandelten Umsetzung des Pariser Klimaabkommens für die Zukunft des Planeten einig ist. Minister Gerber stellt gar die Ergebnisse der jahrelangen Verhandlungen komplett in Frage, wenn er mit dem heutigen CO2-Ausstoß von China die Verantwortung Deutschlands am Klimawandel herunterspielt.

"Mit der sturen Verteidigung der Braunkohle erweisen Woidke und Gerber den Lausitzern einen Bärendienst: Die Zeit der Braunkohle läuft bald ab und der Strukturwandel muss jetzt sofort eingeleitet werden, um der Region den Übergang zu erleichtern", so Michaela Kruse weiter.

 

Sammlung der Zitate und Kommentare des BUND Brandenburg:

Postfaktum Nr. 1
DIE ROLLE DEUTSCHLANDS AM KLIMAWANDEL HERUNTERSPIELEN

Weltweiter Klimaschutz sei notwendig, hob Minister Gerber hervor. Sorge bereite ihm aber „die Unwucht, die wir in der Energiedebatte feststellen“. Der deutsche Anteil am weltweiten Kohlendioxidausstoß liege bei etwa zwei Prozent, der Anteil Chinas dagegen sei 15 Mal so hoch.
Albrecht Gerber
(Quelle: Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums, 6. 7. 2016)

Richtig ist: Mit dem höheren CO2-Ausstoß Chinas den deutschen Anteil am Klimawandel herunterzuspielen, ist steinzeitlich - und außerdem nur die halbe Wahrheit: China hat eine Pro-Kopf-Emission von etwa 6 Tonnen CO2 im Jahr. Brandenburg dagegen von rund 24 t/Einwohner und Deutschland immer noch von rund 9 t/Einwohner. Genau solche heutigen und historischen Unterschiede wurden auf den zähen Klimaverhandlungen der letzten Jahrzehnte durchdiskutiert. Mit dem Ergebnis, dass jedes Land seinen Teil beitragen muss. Dem sollen sich Deutschland und insbesondere Brandenburg nach Minister Gerbers Willen jetzt verweigern. Fest steht: Ohne mittelfristigen Kohleausstieg wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht einhalten.

 

Postfaktum Nr. 2
DEN STRUKTURBRUCH HERAUFBESCHWÖREN

Für eine gute Nachricht auf einer Konferenz irgendwo in Afrika [gemeint ist die UN-Klimakonferenz in Marrakesch im November 2016] hier bei uns 100.000 Arbeitsplätze zu riskieren – das darf nie wieder passieren!
Dietmar Woidke
(Quelle: Die Welt, 15. 12. 2016)

Richtig ist: Die Zahl 100.000 ist grob übertrieben. Die Gewerkschaft Verdi rechnet bei einem Kohleausstieg mit einem Verlust von maximal 30.000 Arbeitsplätzen in der Braun- und Steinkohle in ganz Deutschland. In der gesamten Lausitz arbeiten 8.300 Menschen in der Kohle. Mit „nie wieder“ spielt Woidke auf den Strukturbruch nach der Wiedervereinigung an. Ein Gutachten im Auftrag des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums empfahl allerdings kürzlich „nicht der Versuchung nachzugeben, die drohende Verelendung der Region heraufzubeschwören“. Eine ökonomische Katastrophe wie in den 1990er Jahren drohe nicht. Erst recht nicht, wenn die Landesregierung endlich zum Akteur des Strukturwandels werden würde, anstatt ihn zu blockieren.

Es gibt eine Zahl von Prognos, die das gesamte Lausitzer Revier betrifft, die von rund 30.000 Arbeitsplätzen spricht.
Albrecht Gerber
(RBB, 26. 3. 2015)

Richtig ist: Die Zahl 30.000 bezieht sich auf ganz Ostdeutschland und stammt aus einer von Vattenfall bezahlten Studie, die sehr viele indirekte Arbeitsplätze einrechnet (z.B. bei der Post oder der Deutschen Bahn). Eine von Gerbers eigenem Ministerium beauftragte Studie geht für 2015 von folgenden Zahlen aus: 9.300 Arbeitsplätze in der Brandenburger Braunkohleindustrie, davon 3.500 indirekte Arbeitsplätze. Dies ist immer noch eine hohe Zahl, aber anstatt Ängste zu schüren und sich dem Strukturwandel zu verweigern, wäre jetzt die Festlegung auf einen schrittweisen Ausstieg, auf den sich alle Beteiligten einstellen können, und Initiative für die Zeit nach der Braunkohle gefragt.


Postfaktum Nr. 3

DIE ÄLTESTEN DRECKSCHLEUDERN ALS NEUESTE TECHNIK VERKAUFEN

Die Kraftwerke in der Lausitz sind modernisiert worden und gehören zu den effizientesten in Deutschland.
Albrecht Gerber
(Quelle: PNN, 30. 12. 2015)

Richtig ist: Braunkohlekraftwerke sind mit Abstand die ineffizientesten Kraftwerke. Das in den 80ern in Betrieb genommene Kraftwerk Jänschwalde bei Cottbus hat trotz  Modernisierungen einen Wirkungsgrad von maximal 36 Prozent. Über 60 Prozent der Energie entweicht ungenutzt durch die Kühltürme: „Wolkenproduktionsmaschine“ wäre das passendere Wort. Die beiden brandenburgischen Braunkohlekraftwerke Jänschwalde (Platz 4) und Schwarze Pumpe (Platz 10) finden sich unter den Top10 der CO2-Schleudern Europas.

 

Postfaktum Nr. 4
DIE BRAUNKOHLE ALS BILLIG UND VERLÄSSLICH DARSTELLEN

Nach dem Atomausstieg den letzten verlässlichen und bezahlbaren Energieträger aus dem Netz zu nehmen, wäre grob fahrlässig.
Dietmar Woidke
(Quelle: Der Prignitzer, 3. 1. 2017)

Richtig ist: Noch spielt die Braunkohle eine wichtige Rolle, wenn die Erneuerbaren wetterbedingt nur wenig Strom liefern. Das füllen der Lücken könnten aber auch die bestehenden Gaskraftwerke übernehmen. Als Partner der schwankenden Erzeugung aus erneuerbaren Energien sind sie besser geeignet als die schwer regelbaren Kohlekraftwerke. Ihr Betrieb lohnt sich aufgrund der hohen Überkapazitäten und billigen CO2-Zertifikate aber derzeit nicht. Der Kohleausstieg löst dieses Problem. Teurer würde das nicht unbedingt: Wenn Gas künftig vermehrt in Kraftwerken mit höchst effizienter Kraft-Wärme-Kopplung genutzt wird, braucht man nicht viel mehr Gas als heute. Und Braunkohle ist nur dann billig, wenn man wenn man indirekte Subventionen, wie z.B. die Befreiung vom Wasserentgelt, vernachlässigt und Folgekosten durch Verockerung der Spree, Luftverschmutzung und Klimawandel nicht einberechnet.

 

Postfaktum Nr. 5

ÜBER FEHLENDE SPEICHER JAMMERN, OHNE DAS PROBLEM LÖSEN ZU WOLLEN

Die Braunkohle wird so lange gebraucht, bis die erneuerbaren Energien wirklich zuverlässig sind. Dazu gehört insbesondere die Speichertechnologie, die es in der notwendigen Form noch nicht gibt.
Dietmar Woidke
(Quelle: Der Prignitzer, 3. 1. 2017)

Richtig ist: Um die Energieversorgung bis 2050 auf 100 Prozent Erneuerbare umzustellen, braucht man Speicher. Laut dem Netzbetreiber 50hertz sind Speicher aber erst ab 2030 oder sogar 2040 nötig, wenn die Erneuerbaren einen Anteil von 70 oder 80 Prozent haben. Bis dahin wäre Zeit, die Technik zu entwickeln. Dazu müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Brandenburg hat jedoch noch keine Initiative ergriffen, etwa um die Förderung von Speichern im EEG zu verankern. Der Ministerpräsident zäumt das Pferd von hinten auf: Erst wenn ein festes Ausstiegsdatum festgelegt wird, herrscht Planungssicherheit und der Anreiz, Lösungen zu entwickeln. Übrigens: Neue Braunkohletagebaue wie der 2014 beschlossene Tagebau Welzow-Süd II werden ganz sicher nicht mehr gebraucht. Die bereits genehmigten Vorräte reichen locker bis in die 2030er Jahre.

 

Postfaktum Nr. 6

DIE BEDEUTUNG DER ERNEUERBAREN KLEINRECHNEN

Auf den gesamten Energieverbrauch Deutschlands bezogen, haben die Erneuerbaren derzeit nur einen Anteil von knapp über elf Prozent. [...] Und das nach 25 Jahren Förderung der erneuerbaren Energien über das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 und das EEG. Wir haben noch einen sehr, sehr weiten Weg vor uns.
Albrecht Gerber
(Quelle: klimaretter.info, 10. 4. 2016)

Richtig ist: Minister Gerber nutzt den Endenergieverbrauch, um den Anteil der Erneuerbaren möglichst klein darzustellen. So gerechnet spielt auch die Braunkohle mit sechs Prozent am Endenergieverbrauch nur eine kleine Rolle. Sehr sinnvoll sind beide Zahlen an dieser Stelle nicht, denn der Endenergieverbrauch eignet sich überhaupt nicht für eine derartige Debatte. Er zeigt nur, dass wir bei Wärme- und Verkehrswende einen langen Weg vor uns haben. Die Braunkohle liefert aber hauptsachlich Strom und daher muss für einen soliden Vergleich die Stromproduktion der Energieträger verglichen werden. An der Bruttostromerzeugung haben die Erneuerbaren in Deutschland schon einen Anteil von über 32 Prozent - Tendenz stetig steigend - und damit deutlich mehr als die Braunkohle mit 23,1 Prozent. Nun gilt es die anderen zwei Drittel nach und nach (Atomenergie bis spätestens 2022, Braunkohle bis 2030, Steinkohle bis 2040 und fossiles Gas bis 2050) durch Erneuerbare zu ersetzen oder besser noch einzusparen!  

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