„Wie viel Boden wir verbrauchen und was sich neu bildet, passt nicht zusammen“

10. Februar 2025 | Boden, BUNDzeit

Bodenkundlerin Sonja Medwedski über Regenerationsfähigkeit, Speicherkapazitäten und unbekannte Bewohner des Bodens

Bodenkundlerin Sonja Medwedski. Foto: Karoline Reiher

Was ist eigentlich Boden?

Sonja Medwedski: Boden ist eine lebendige Mischung und grenzt sich vom geologischen Untergrund ab, also von Felsen oder Sanddüne. Zunächst gibt es den nackten, kargen Stein. Dann beginnen bodenbildende Prozesse wie Verwitterung, Humusbildung, Pflanzenwachstum und Besiedlung durch Tiere. Dabei entstehen im Lauf der Zeit unterschiedliche Bodentypen. Ein „klassischer“ Bodentyp hat einen Oberboden, den humushaltigen Mutterboden von meistens 20 bis 30 Zentimetern. Darunter folgt meist ein Unterboden und ganz unten das Ausgangsmaterial.

Macht sich das menschenbeeinflusste Zeitalter, das Anthropozän im Boden bemerkbar?

Seit Menschen den Boden nutzen, hinterlassen sie Spuren in und auf ihm. Allein mit der Art, das Land zu bewirtschaften, und durch den Siedlungsbau. Dazu kommen Schadstoffe der Industrie. Bis in die Achtziger hatte man noch gar nicht richtig auf dem Schirm, dass diese Schadstoffe irgendwo bleiben. Der Boden ist ein riesiger Speicher, aber nicht nur für die guten Stoffe.

Geht uns der Boden irgendwann aus?

Im Prinzip ist die Bodenbildung nie zu Ende. Ganz grob gesagt bildet sich in einem Menschenleben, also sagen wir in 100 Jahren, in unseren Breiten ungefähr ein Zentimeter Boden. Das Ausmaß, in dem wir Boden verbrauchen, und seine Fähigkeit sich neu zu bilden, passen nicht zusammen.

In Ihrem Buch „Die Stimme des Bodens“ beschreiben Sie das Bodenleben als Kreislaufwirtschaft. Was passiert, wenn dieser Kreislauf in Unordnung gerät? Etwa wenn man statt organischen Dünger mineralischen einbringt?

Mineralischen Dünger setzt die Landwirtschaft ein, um ganz gezielt die Bedürfnisse der gewünschten Pflanzen zu sättigen. Er hat den Vorteil, dass er lokal konzentriert und präzisiert ausgebracht werden kann. Dabei vernachlässigt man aber das Bodenleben. Also die Organismen, die unter der Pflanze die Nährstoffe bereitstellen. Die haben auch ständig Hunger. Der organische Dünger macht Pflanzen und Bodenbewohner satt, braucht aber länger, um seine düngende Wirkung zu entfalten. Mineralische Dünger funktionieren zwar schnell, sind aber auch oft schnell wieder weg. Im schlimmsten Fall landen sie ungenutzt im Grundwasser.

Wie können sich Ackerböden regenerieren?

Man sollte schauen, dass in der Fruchtfolge alles miteinander harmoniert, die Pflanzen unterschiedlichen Nährstoffbedarf haben und in unterschiedlichen Tiefen wurzeln, um die Wasserverfügbarkeit im gesamten Bodenraum optimal auszunutzen. Das ist wichtig, weil der Wurzelraum die belebteste Bodenzone ist, im Prinzip die Großstadt des Untergrunds. Keine Alleskönner, aber doch Vielkönner für die Bodenregeneration sind Leguminosen als Zwischenfrüchte, also Lupinen, Klee, die ganzen Hülsenfrüchte. Sie wurzeln tief und können Luft-Stickstoff binden, sich also selbst mit Dünger versorgen.

Wie wirken Unkrautvernichtungsmittel auf die Bodenfauna?

Das hängt vom Herbizid, den Test- und den natürlichen Ausgangsbedingungen ab. Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass manche Herbizide nicht nur auf Pflanzen wirken, sondern auch auf Regenwürmer, Mykorrhiza, also Wurzelpilze, und Bakterien. Zudem geht die Wissenschaft derzeit davon aus, dass gerade mal ein bis zwei Prozent der Bodenbewohner bisher bekannt sind. Vielleicht haben Herbizide massive Auswirkungen auf eine Bakteriengruppe, die wir bisher noch gar nicht registriert haben. Vielleicht ist sie auch schon ausgelöscht.

Welche Rolle spielt Erosion?

Auf der Liste der Bodengefährdungen steht der Abtrag vom Boden durch Wasser und Wind ganz weit vorne – auch bei uns in Deutschland. Allein bei der Wassererosion sind es bundesweit 25 Millionen Tonnen Boden pro Jahr! Um diese Bodenmenge zu transportieren, bräuchte man etwa eine Million Lkw-Fahrten. Bei unbewachsener Oberfläche und Regen reichen wenige Prozent an Gefälle, damit große Mengen Boden in Bewegung geraten. Dabei handelt es sich um die fruchtbare Oberfläche, die dann nicht mehr dort ist, wo sie gebraucht wird. Häufig gelangen die Partikel in Gewässer und bringen dort das chemische Gleichgewicht durcheinander.

Was kann man dagegen tun?

Die natürlichste Hilfe gegen Erosion ist eine durchwurzelte, lebendige Pflanzendecke.

Wie muss ein Boden beschaffen sein, um als Speicher zu funktionieren?

Es kommt auf den Speicherplatz an, die Poren. Der kann mit Luft, Wasser, Kohlenstoff und Nährstoffen, aber auch mit Schadstoffen und archäologischen Funden gefüllt sein. Etwa die Hälfte des Bodenvolumens besteht aus Poren, die allerdings je nach Bodenart unterschiedlich groß sind. Im Sand sind die Hohlräume zwischen den Körnern am größten, bei tonigem Boden mit kleinsten Partikeln viel kleiner. Bei einem Starkregen kann Sandboden somit schnell viel Wasser aufnehmen, aber schlecht speichern. Boden mit kleinerem Porengefüge hält das Wasser besser. Neben dem vorhandenen Porenraum kann die Speicherfähigkeit eines Bodens auch verbessert werden, etwa durch Humus. Humus ist sozusagen ein externer Speicher für Wasser und Nährstoffe und zudem Futter für die Bodenbewohner.

Gefährdet jede Verdichtung des Bodens die Speicherfähigkeit?

Bis zu einem gewissen Maß kann der Boden sich erholen. Aber wenn große, schwere Maschinen schlimmstenfalls auf nassen Flächen fahren, ist die Struktur des Bodens im Wortsinn platt. Bis sich da wieder ein natürliches Porengefüge aufgebaut hat, dauert es sehr lange.

Thema Bauen: Wirbelt der Tiefbau alles Bodenleben durcheinander?

Früher war das immer so. Heute gibt es häufig eine bodenkundliche Baubegleitung; gerade bei größeren Bauvorhaben schaut man im Vorfeld, was für Böden dort sind. Im städtischen Raum ist das schon wegen kriegsbeeinflussten und schadstoffverdächtigen Böden wichtig. Der Oberboden, der Mutterboden, ist gesetzlich geschützt, er darf nicht überbaut werden und muss zuerst abgetragen werden. Allerdings kostet ein Bodenmanagement auf der Baustelle Zeit und Geld, gerade im städtischen Bereich, wo Platz Mangelware ist. Es lohnt sich aber allein schon deswegen, weil man hinterher wirklich einen funktionierenden Untergrund hat und keine Verdichtungen teuer beheben muss, die vielleicht während des Baus entstanden sind.

Gibt es Bodenleben unter versiegelter Fläche?

Die Bedingungen sind denkbar schlecht. Von sehr wenigen Spezialisten abgesehen brauchen die Bodenlebewesen Sauerstoff und Wasser.

Kann man versiegelten Boden wiederbeleben? Nehmen wir zum Beispiel mal einen überdimensionierten Parkplatz.

Meistens muss mehr abgetragen werden als nur die oberste Asphaltdecke, häufig hat ein Parkplatz einen technischen Aufbau aus gut 50 bis 60 Zentimeter Schotter und Sand. Doch auch dort kann die Bodenbildung wieder von Neuem beginnen. Letztlich ist so eine Schotteroberfläche für die Natur nichts anderes als eine felsige Landschaft, wie sie ursprünglich mal war und kann zumindest schon mal wieder Wasser speichern. Wir Menschen brauchen Geduld und der Boden wird nicht wieder so aussehen wie in der Zeit vor dem Parkplatz, aber mit den ersten Pflanzen, die sich dort wieder ansiedeln, verbessert sich auch das Mikroklima.

Sonja Medwedski studierte Physische Geographie und Bodenwissenschaften und widmet sich seit über zwölf Jahren dem vor- und nachsorgenden Bodenschutz. Ihre Mission: den Boden ins Rampenlicht rücken und Menschen für seine zentrale Rolle in unserem Leben sensibilisieren. Mit ihrem Buch „Die Stimme des Bodens – Alles über unseren sonst so stillen Nachbarn“ (erschienen 2022 bei Springer) hat sie dem Boden wortwörtlich eine Stimme verliehen und vermittelt die oft unterschätzte Bedeutung von Böden auf eine leicht zugängliche und unterhaltsame Weise.
www.sonjamedwedski.de 

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2025-1. Mehr zum Schwerpunktthema Bodenschutz:

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