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„Für die Biobetriebe wird die Koexistenz mit konventionellen immer schwieriger“

31. Juli 2019 | BUNDzeit

Ulrich Schlechtriemen, Privat-Forstdirektor und Umweltsachverständiger, über Pestizide in der Luft und neue Erkenntnisse aus einer Baumrindenstudie

Ulrich Schlechtriemen, Jahrgang 1950, studierte Chemie und Forstwissenschaft. 1993 gründete der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige mit dem im März 2019 verstorbenen Frieder Hofmann das Büro TIEM Integrierte Umweltüberwachung. Arbeitsschwerpunkte: Analysen, Gutachten, Planungen, Beratung, Ökotoxikologie, Biomonitoring, Umweltüberwachung. Die Studie zur Pestizid-Verbreitung durch die Luft erstellte TIEM für das Bündnis Enkeltaugliche Landwirtschaft, www.enkeltauglich.bio/aktuelle-studie

BUNDzeit: Herr Schlechtriemen, Sie haben die bislang umfassendste Untersuchung zur Verbreitung von Pestiziden durch die Luft vorgelegt. Warum haben Sie dazu ausgerechnet Rinden analysiert und nicht etwa Boden oder Gewässer?

Ulrich Schlechtriemen: Rinde ist ein abgeschlossenes Gewebe, das nichts mehr mit Wachstum und Stoffwechsel des Baums zu tun hat und immer der Luftsituation ausgesetzt ist. Anders als in Wasser und Boden gibt es keine Durchmischungen und Verdunstungen oder Organismen, die durch Abbauvorgänge die Substanz verändern.

Wie haben Sie die bundesweit 47 Standorte ausgewählt?

Ein Schwerpunkt war die Ausgangsstudie in Brandenburg, wo wir im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin die Situation hatten, dass ein Biolandwirt seine Fenchelernte nicht mehr vermarkten konnte, weil die Pestizidbelastung so hoch war. Das war angesichts der weitflächigen Ausbreitung des Biolandbaus in der Umgebung nicht erklärlich. Deshalb haben wir begonnen, in dieser Gegend Rindenproben zu entnehmen. Wie weit Pestizide in der Umwelt zu finden sind, wenn man sich nicht auf die Abdrift vom Feldrand beschränkt, ist in Deutschland noch nicht untersucht worden. In der Erweiterung der Studie sind deshalb Bäume in Gebieten mit unterschiedlichsten Landnutzungsformen zu finden. 27 Standorte liegen in Schutzgebieten, was den Pestizideinsatz nicht ausschließt. Lediglich 16 Standorte waren intensiv konventionell bewirtschaftet, vier Gebiete rein biologisch. Auch vier Städte sind repräsentiert. Das Ziel war es, ein möglichst breites Spektrum abzudecken.

Was waren die wichtigsten Ergebnisse?

Zu den häufigsten gefundenen Herbiziden gehörten Pendimethalin und Prosulfocarb, von denen bekannt ist, dass sie sich als gasförmige Stoffe in der Umgebung ausbreiten. Erstaunlicherweise haben wir als zweithäufigsten Stoff DDT gefunden. DDT ist seit Ende der Siebzigerjahre in Westdeutschland verboten und kam in der DDR bis 1990 zum Einsatz – das allerdings weiträumig und intensiv, weil es ein günstiges Pestizid war. Aber die wohl interessanteste Entdeckung: Wir haben sehr häufig Glyphosat gefunden, nämlich in 57 Prozent der Proben beziehungsweise als fünfthäufigsten Wirkstoff.

Was ist das Besondere daran? Schließlich ist Glyphosat der Topseller unter den Pestiziden.

Von Glyphosat dachte man bislang, dass es sich gar nicht verbreiten kann, weil es einen sehr geringen Dampfdruck hat und am Ausbringungsort im System verbleibt. Wir haben herausgefunden, dass leichte Böden mit einer erhöhten Winderosionsgefährdung – wie es sie etwa in Mecklenburg und Brandenburg gibt – mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einer erhöhten Glyphosat-Belastung korrelieren.

Wie kommt es dazu?

Die Schlussfolgerung lautet: Das Glyphosat heftet sich an feinste Partikel an, etwa Aerosole und Humus- oder Tonpartikel, und verdriftet dann mit diesen Partikeln durch atmosphärische Einwirkungen. Dieses Phänomen kennt man schon seit Längerem aus Kanada. Allerdings sagte man hierzulande: Na ja, in Kanada hat man riesige Felder, andere landwirtschaftliche Praxis und ganz andere Windverhältnisse, bei uns ist die Landwirtschaft doch viel kleinstrukturierter.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass eine mosaikartige Struktur in der Landschaft mit Hecken und Baumreihen das Verdriften der pestizidbelasteten Partikel verhindert?

Von der Logik her ist es so, dass dort, wo umfangreiche atmosphärische Einflüsse, sprich: Wind, da sind, und dort, wo weiträumige ackerbauliche Strukturen, sprich: große Schläge, die nach der Ernte lange brachliegen, vorhanden sind, ein höheres Verdriftungsrisiko besteht als in kleinräumigen, parzellierten Strukturen, wo Baumreihen und andere Strukturelemente den Wind bremsen oder unterschiedliche ackerbauliche Formen nebeneinander bestehen.

Addieren sich die Pestizidablagerungen in den Rinden von Jahr zu Jahr?

Für die Probenmatrix Rinde liegen noch keine Erkenntnisse vor. Allerdings ist bekannt, dass langlebige Pestizide im Boden akkumulieren können. Können Sie aus den einzelnen Funden ableiten, welche Distanzen die Pestizide in der Luft zurücklegen? Die Distanzen hängen von den atmosphärischen Bedingungen und von der Großräumigkeit der Landschaft ab. Wir finden auch landwirtschaftsferne Einträge in Naturschutzgebieten und Städten, wobei man nicht genau weiß, wie dort mit Pestiziden umgegangen wird.

Sehen Sie die Erkenntnisse, die Sie in Ihrer Studie gewonnen haben, ausreichend in den Zulassungsverfahren der Pestizide berücksichtigt?

Von allen Pestiziden erregt Glyphosat wohl am meisten Interesse. Für uns war es ein neues Pestizid, für das wir vor 2018 noch keine Daten vorliegen hatten. Dass wir dieses Pestizid an über 55 Prozent der Standorte nachweisen konnten, zeigt, dass es weiträumig über die Luft transportiert wird. Daher sind die neu gewonnen Erkenntnisse in die Zulassungsverfahren zu integrieren. Für den Bioanbau gewinnt der Umgang mit den Pestiziden Pendimethalin und Prosulfocarb eine große Bedeutung, da dieser Einsatz die Koexistenz von ökologisch wirtschaftenden und konventionellen Landwirtschaftsbetrieben immer schwieriger werden lässt. Aufgrund ihrer chemisch-physikalischen Eigenschaften geben diese Pestizide immer einen gewissen Teil ihrer Wirkstoffe in die Luft ab. Biobetriebe stellen inzwischen 12 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland. Wenn sie, wie nach EURichtlinien vorgesehen, Seite an Seite mit konventionellen Betrieben wirtschaften sollen, muss ein Umdenken bei der Zulassung und Verwendung dieser Stoffe erfolgen.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2019/03.

 

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