Es geht auch besser

13. November 2024 | BUNDzeit

Ambitionslosigkeit, Unvermögen, Unwille: Über die Umweltpolitik in Berlin und Brandenburg lässt sich momentan wenig Gutes sagen. Ein Glück, dass andere Städte und Regionen zeigen, dass sie durchaus Gestaltungsmöglichkeiten zum Schutz von Klima und Artenvielfalt haben.

Bis 2016 Schnellstraße: Voie Georges-Pompidou am Seineufer in Paris. Foto: Merja Spott

„Seht auf diese Stadt“, rief Ernst Reuter 1948 der Weltgemeinschaft zu, als die Sowjetunion die Westsektoren von Berlin auszuhungern versuchte. Das fordert heute kein Mensch mehr. Erstens weil die Berlin-Blockade glücklicherweise Geschichte ist. Zweitens weil es Berlin momentan ganz offensichtlich an Strahlkraft mangelt. Was sollte die Weltgemeinschaft an Berlin bewundern? Die Stadt schleppt sich von Krise zu Krise. Wohnungsmarkt, Bürgerämter, U-Bahnen – wenn schon das Alltäglichste im Stadtorganismus nicht mehr verlässlich funktioniert, wie soll man dann die großen Zukunftsaufgaben angehen? Also all die im weitesten Sinn ökologischen Themen, von denen alle wissen, dass sie wichtig sind, die aber dennoch wieder und wieder beiseitegeschoben werden.

Revanche ist angesagt: Jetzt sind die Berliner*innen und vor allem ihre Regierenden mit dem Sehen dran. Und zwar auf all jene anderen Städte, die zeigen, was möglich ist. Das gilt ebenso für die Brandenburger*innen, die sich kürzlich einen Landtag gewählt haben, von dem kaum positive Impulse für den Umwelt- und Naturschutz zu erwarten sind. Lasst uns also Anregungen von anderen Orten holen!

Wie immer ist es nicht ganz so einfach, denn die eine Modellkommune oder Modellregion gibt es natürlich nicht. Zu unterschiedlich sind die Bedingungen, unter denen Umweltpolitik vor Ort gemacht wird. Wirklich vergleichbar ist Berlin ohnehin nur mit Hamburg und – schon etwas eingeschränkt ob der anderen gesetzlichen Situation auf nationaler Ebene – mit dem ebenfalls als Stadtstaat verfassten Wien. Zufällig finden sich die beiden Städte auch auf der Zusammenstellung guter Beispiele in dieser BUNDzeit. Allerdings kommt es gar nicht darauf an, alles eins zu eins zu übernehmen. Wichtiger ist es, die Grundidee hinter bestimmten Maßnahmen zu verstehen und, falls geeignet, in den hiesigen Kontext zu übertragen.

Einfach machen

In Paris beispielsweise steckt hinter dem Boom von Radspuren und Fußgängerzonen der Anspruch, schnell brauchbare Alternativen zum privat genutzten Kraftfahrzeug zu schaffen (Funfact: offenbar zu schnell für Kurzzeit-Bürgermeisterin Franziska Giffey, die vom Besuch bei ihrer Pariser Amtskollegin in erster Linie zu erzählen hatte, wie sie einmal beinahe von einem Fahrrad angefahren worden wäre). In London vertraut man mit der Citymaut (15 Pfund pro Tag im Zentrum) und der am Schadstoffausstoß orientierten „Ultra Low Emission Zone“ (stadtweit 12,5 Pfund für alte Benzinund Dieselmotoren) eher der lenkenden Kraft der Finanzen.

Beide Ansätze scheinen zu funktionieren, die Anteile der umweltfreundlichen Fortbewegungsformen steigen. Diesen Effekt zeigen auch die „Superblocks“ („Superilles“ auf Katalanisch) in Barcelona, wo Zufußgehende und Radfahrende Vorrang haben und gleichzeitig neu gepflanzte Bäume und Hochbeete die wohnortnahe Grüninfrastruktur verbessern. Auf maximale Effizienz setzt die marokkanische Metropole Casablanca. In zwei Etappen baute sie 2012 und 2024 ein 74 Kilometer langes Tramnetz; die Bahnen der zwei zuletzt eingeweihten Strecken transportieren jeweils bis zu 630 Fahrgäste.

Vorreiter und Vorbilder finden sich nicht nur unter den Metropolen. So arbeiten auf der Ostseeinsel Rügen, im niedersächsischen Landkreis Grafschaft Bentheim und im Freisinger Ampertal nördlich von München viele kleine Gemeinden an Biotopverbünden. Sie haben unter anderem angeregt, verlandete Teiche zu entschlammen, Hecken und Gehölzgruppen zu pflanzen, inmitten von Getreidefeldern kleine Bereiche zum Schutz vom Bodenbrütern wie Feldlerchen unbewirtschaftet zu lassen, Blühstreifen entlang der Äcker anzulegen, abgetrennte Altarme wieder an Fließgewässer anzuschließen, Grünland wiederzuvernässen und Entwässerungsgräben zu schließen oder zumindest abzuflachen. Das alles natürlich im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit den Flächeneigentümer*innen, meist Landwirt*innen.

Auch zum Thema Müllvermeidung haben Kommunen und Regionen gute Beispiele geliefert, etwa den Reparaturbonus, der aus Österreich über Thüringen kommend nun tatsächlich auch in Berlin ausprobiert wird, oder das staatlich geförderte Netz von Secondhandläden in der belgischen Region Flandern.

Pragmatismus statt Stillstand

Woran liegt es, dass sich Berlin und Brandenburg schwerer mit Klima- und Artenschutz tun, obwohl ihre finanziellen oder gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht immer unbedingt schlechter sind? Lässt man die letzten Jahre Revue passieren, so zeigt sich eine Mischung aus Wurstigkeit (Stichwort Nichtumsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie), Vorliebe für Symbolpolitik (Stichwort Friedrichstraße) und viel Verständnis für bestimmte Lobbygruppen (Stichwort Rückzieher beim Insektenschutz). Nicht, dass die Politik anderswo vollkommen vor diesen Versuchungen gefeit wäre. Aber überall dort, wo eine fortschrittliche Umweltpolitik zu beobachten ist, zeigt sich unabhängig von der parteipolitischen Färbung ein gewisser Pragmatismus im Handeln. Problem analysieren, Optionen diskutieren, Entscheidungen treffen, loslegen – das sollte eigentlich das normale Vorgehen sein.

Und was lernen wir aus den guten Beispielen? Hoffentlich eine Menge darüber, wie es besser gemacht werden kann. Die wohl wichtigste Erkenntnis ist aber, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen. Es wäre durchaus möglich, ihre Rezepte zu kopieren. Vielleicht lohnt sich dann auch wieder mal der Blick auf Berlin und Brandenburg.

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 4/2024. Mehr zum Schwerpunktthema „Gute Beispiele”:

SUV-Tarife und Megapumpen: Was Berlin und Brandenburg von anderen lernen können
Gute Beispiele in Zahlen
Kiezinitiativen machen es vor: Werbung für Verkehrsberuhigung

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