Blick vom Kleinen Rummelsberg auf den Wiesensee und das Naturschutzgebiet Plagefenn im Hintergrund. Foto: Sebastian Petrich
Schuld war ein Hirsch. Glaubt man den Erinnerungen des Choriner Försters Max Kienitz, der 1906 auf die Idee kam, ein bewaldetes Sumpfgebiet am südlichen Dorfrand von Brodowin als „echtes, möglichst unberührtes Denkmal in seinem Bestand und in seiner naturgemäßen Entwicklung zu schützen“, so gab eine Begegnung mit einem prächtigen Vierzehnender den Ausschlag für seinen entsprechenden Antrag bei der preußischen Regierung. Nach nur zweimonatiger Prüfung stellte das Landwirtschaftsministerium Anfang 1907 79 Hektar Wasserfläche, 62 Hektar ertraglose Moorgebiete und 37 Hektar Wald als Naturdenkmal unter Schutz – erstmalig auf dem Boden des heutigen Landes Brandenburg.
Was das Pflagefenn genannte Gebiet auszeichnete, beschrieb Kienitz so: „Auf der Ostseite des Reviers, an der Brodowiner Grenze, liegt der große Plagesee, dessen Ostufer an den meisten Stellen seicht und sandig ist, während ein festes Westufer eigentlich nicht vorhanden ist […]. Die Wasser- und Sumpfpflanzen bilden zunächst schwimmende Inseln, die im Sommer an die Oberfläche steigen, im Winter versinken. Nach und nach befestigen sich diese Inseln, bilden eine zähe, nicht mehr versinkende Decke, auf denen Torfmoose und andere torfbildende Pflanzen sich ansiedeln, die nach oben alljährlich weiter wachsen. […] Das Wild liebt dieses stille, schwer zugängliche Gebiet.“
Fortan war das Wild im Plagefenn also geschützt und das Holz blieb im Wald, die Moorentwässerung zugunsten der umliegenden Landwirtschaft ging vorerst jedoch weiter, auch die Überdüngung der Nachbarschaft schädigte das Plagefenn. Wenige Tage vor der Wiedervereinigung 1990 gelang es jedoch, das Naturschutzgebiet auf 1.053 Hektar zu erweitern und die Umgebung als Teil des Biosphärenreservats Schorfheide- Chorin ebenfalls zu einer Zone mit relativ nachhaltiger Bewirtschaftung zu machen. Die bisherige Entwässerung wurde ab 1993 teilweise rückgängig gemacht.
Um das Plagefenn kennenzulernen, bietet sich eine Wanderung von Chorin nach Brodowin an. Vom Bahnhof Chorin geht es zunächst zum Kloster Chorin am Amtssee, wo der 1931 verstorbene Förster Max Kienitz begraben ist. Am Südufer des Sees folgen wir der Landstraße ein paar hundert Meter, um rechts in den Amtsweg abzubiegen, der in den Denglerweg übergeht – einen mit beeindruckenden, uralten Feldsteinen gepflasterten historischen Weg. Das Fahrrad wäre auf dieser Strecke keine große Hilfe. Bei erster Gelegenheit biegen wir auf einen Waldweg rechts ab und wandern am besten mit Hilfe einer Navigationsapp über Olbergstraße, Paddensteinweg und Fennweg ins Innere des ältesten Brandenburger Naturschutzgebiets, durch Mischwälder und Erlenbrüche, vorbei an unzähligen Mooren und schließlich Richtung Norden parallel zum für uns nicht sichtbaren Großen Plagesee nach Brodowin.
Wer nach diesen rund zehn Kilometern noch nicht müde ist, sollte einen kleinen Abstecher zum Kleinen Rummelsberg machen, dem vielleicht schönsten Aussichtspunkt des nördlichen Brandenburgs. Dazu biegen wir dort von der Brodowiner Dorfstraße Richtung Osten ab, wo ein Storchennest auf einem alten Stahlmast thront und in den Sommermonaten Dutzende Mauersegler ein langgestrecktes Backsteingehöft umschwirren.
Nach nicht ganz zwei Kilometern mit Äckern linker Hand und Streuobstwiesen rechter Hand erreichen wir den aus Geschiebemergel der letzten Eiszeit entstandenen Hügel, der mit seiner Höhe von 82 Meter über dem Meer gute 40 Meter über die Landschaft herausragt. Seine Steppenrasenvegetation gefällt unter anderem Wildbienen, Tagfaltern und Nachtfaltern. Am Gipfel schweift der Blick nordwärts über goldbraune Äcker, den Parsteiner See und viele Windräder am Horizont, über sanfte Wiesen und Wälder gen Osten und schließlich nach Süden, wo sich hinter den Streuobstwiesen erst der Wiesensee – der so heißt, weil er in den letzten Jahrhunderten mal Wiese, mal Gewässer gewesen ist – erstreckt und dann gen Südwesten die hügelige Waldwelt des Plagefenns.
Anreise: RE3 nach Chorin
Abreise: Bus 912 von Brodowin nach Eberswalde (Achtung: nur Montag–Freitag!)
Kürzeste Fußroute Brodowin–Chorin: 7 km über Theerofen